Geschrieben von Herta am 10. Februar 2003 10:02:23:
Als Antwort auf: Geschwisterkinder geschrieben von Claudia am 07. Februar 2003 14:41:04:
Hallo Claudia,
ich versteh dich gut. Sofia, unser Rett-Mädchen, ist 1999 geboren und die Geschwister sind 9 (Florian) und 7 (Kristina). Auch bei uns werden die Rechte der beiden Großen beschnitten und ich kann das nicht immer verhindern. Sie müssen immer so vernünftig sein, müssen sich streng an bestimmte Sicherheitsregeln halten (z. B. immer!!! Haustüre versperren) und müssen immer warten bis Sofia versorgt ist und dann erst kommen sie dran. Besonders morgens vor der Schule ist es sehr hektisch, da versuche ich auch noch eine bessere Lösung zu finden.
Wir sprechen zuhause ganz viel über das Rett-Syndrom und gehen offen damit um. Ich lobe sie viel und sage íhnen auch, dass sie nicht immer gerecht behandelt werden, dass mir das leid tut aber nicht anders geht, und versuche ihr Bewußtsein zu wecken dafür dass sie ihren Vorteil erkennen, gesund zu sein.
Manchmal, soweit das eben gerade geht, lasse ich auch mal Sofia warten (z. B. die Reihenfolge beim Anziehen oder so) und sage dann ganz laut und überdeutlich zu ihr: "Sofia, jetzt kommt erst Kristina /oder Florian/ dran, dann du." Das sage ich zwar zu Sofia, aber es geht eigentlich an die Adresse der Großen.
Ich beziehe sie auch viel mit ein bei der Versorgung von Sofia und übertrage ihnen kleinere Aufgaben. Dann sind sie immer eifrig bei der Sache und ganz stolz.
Was uns hilft ist viel Entlastung von außen: Sofia besucht eine SVE mit Tagesstätte, dh an Schultagen habe ich mittags Zeit für die Großen. Dann gibt es noch den familienentlastenden Dienst, der übernimmt Sofia manchmal wenn ich wirklich mal ein paar Stunden Zeit für die Beiden brauche.
Außerdem gibt es noch die Großeltern und den Papa. Die unternehmen oft Dinge mit den Beiden, von denen Sofia ganz klar ausgeschlossen bleibt. Sofia muss dann bei mir zuhause bleiben während sie z. B. in ein Erlebnisbad fahren dürfen oder ins Kino. Da kommen sie sich bevorzugt vor.
Wenn Sofia abends im Bett ist, schauen wir manchmal zusammen Filme an (an Wochenenden), da genießen sie es sich anzukuscheln und mich für sich zu haben. Und wenn einer von beiden das Bedürfnis hat, lasse ich sie bei mir im Bett schlafen, obwohl sie ja schon sooooo groß sind, manchmal brauchen sie das.
Dann finde ich es auch wichtig, mir immer mal wieder konkret Zeit zu nehmen für bestimmte Dinge die für die Geschwister wichtig sind. Z. B. ist jetzt schon geplant, dass an Kristinas 8. Geburtstag im Mai Sofia zum FED geht und wir einen richtigen Kindergeburtstag feiern mit Betonung - ohne Sofia. Kristina kann schon stundenlang die Einladungsliste durchsprechen und überlegt bereits, welche Kuchen gebacken werden sollen und was gespielt wird - da hat sie jetzt einige Monate Vorfreude und bekommt das Gefühl, wichtig zu sein.
Außerdem versuche ich ihre Wünsche ernst zu nehmen und auch umzusetzen. Z. B. haben wir bei Kristina das Zimmer nach ihren Vorstellungen verändert, haben zwei Wände farbig gestrichen (wie Wolken), unter ihrem Bett eine Zauberhöhle gebaut mit Hängematte und Silbersternen und Lichterkette (wie ein Sternenhimmel), genau wie sie es sich ausgedacht hat. Dazu habe ich mir extra die Zeit genommen und Sofia zum FED gegeben.
Oder Florian hat ebenfalls in seinem Zimmer eine Hängematte bekommen weil er sich das gewünscht hat, außerdem braucht er selber viel Aufmerksamkeit, er ist nämlich auch ein Förderkind das ständig zur Ergotherapie, zur Logopädin, ins Kinderzentrum gefahren werden muss (eine Nerven- und/oder Muskelerkrankung, Diagnoseverfahren läuft noch).
Das waren jetzt einige Beispiele - aber das wichtigste ist - Hilfe und Entlastung von außen in Anspruch zu nehmen. Alleine schafft man es nicht allen immer gerecht zu werden. Dh konkret Kindergarten/SVE-Platz, Tagesstätte, familienentlastender Dienst für die Betreuung von Nina. Außerdem Vater, Großeltern oder sonstige Freunde mit einbeziehen - soweit das halt immer möglich ist. Entweder könnten die stundenweise Nina übernehmen oder (da sich ja - wenn ich mal von Sofia ausgehe - die wenigsten zutrauen ein behindertes Kind zu betreuen bzw. ich es kaum jemandem zumuten möchte) ihre Aufmerksamkeit den großen Kindern schenken. Oder von der Lebenhilfe gibt es bei uns z. B. Geschwistertage mit Ausflügen, da haben sie auch schon mal mitgemacht und waren begeistert.
Außerdem scheint mir das so, dass nicht nur deine beiden Söhne etwas brauchen sondern auch du. Wenn du selber "nur noch Kopfweh hast" und "nur für die Kinder lebst" - woher nimmt du dann deine Kraft. Also versuche auch die genannten Möglichkeiten zu nutzen, um etwas für dich zu tun. Zuhause gelingt es nicht jedem, besser wäre es, Abstand zu gewinnen. Abends mal alleine weggehen (mit Freundin z. B.), oder vormittags etwas für dich tun (vielleicht schwimmen) - das ist so wichtig. Wenn du dich erschöpft fühlst wäre eventuell eine Mutter-Kind-Kur mal das richtige, doch vor allem gilt es im Alltag kleine aber regelmäßige Auszeiten zu finden. Und zwar ohne schlechtes Gewissen gegenüber allen drei Kindern. Ich hoffe du hast Unterstützung und Verständnis in deinem sozialen Umfeld.
Ich wünsche dir gute Nerven und alles Liebe - Herta und Sofia (*99, RS) aus Aichach